Portugal.The Man am 20. November 2009 in der Frankfurter Batschkapp
Bei Konzerten, wie bei vielem, das schön ist im Leben, verändert sich mit Zunahme des Konsums die Wirkung auf das Individuum. Ich erinnere mich noch genau an das erste „große“ Live-Erlebnis, an dem teilzuhaben mir vergönnt war und dem ich bereits wochenlang entgegen gefiebert hatte: Ein Open-Air-Konzert von Die Ärzte in Losheim, bei dem ich mich des lauthalsen „Farin!“-Kreischens nur ein wenig schämte und das mich noch wochenlang schwärmend und leicht daneben durch die Weltgeschichte wandern ließ. Damals war mir noch nicht so ganz klar, dass ich genau dieses Gefühl nie wieder würde empfinden können. Die Magie des ersten Konzertes gehört dem ersten Konzert und ist nicht recyclebar.
Das gilt auch für einen wiederholten Besuch der Konzerte einer bestimmten Band. Während einen dieser Verlust des Magischen als Teenager noch in große Verunsicherung versetzen kann, wird man mit zunehmendem Alter – erfahrener, wenn auch nicht weniger infantil – nur noch ein wenig nervös. Zu meinem ersten Konzert mit Portugal. The Man vor drei Jahren in Kaiserslautern fuhr ich in Erwartung alles Möglichen, denn ich hatte bisher lediglich einem Album gelauscht und wollte mich überraschen lassen. Dies geschah auf brachial positive Weise – eine Live-Entjungferung der euphorischen Art, die mich mit Schweiß und Glückshormonen durchtränkt auf der Rückbank eines Mercedes (!) in meinem neuen eleganten Band-Shirt vor mich her brabbeln ließ. „Nächstes Mal“, so hatte die damals fahrende Person, die sich auch wildfremden Personen mit Vorliebe als Jesus vorstellt, dem auf dem Beifahrersitz Platz genommenen großen Dritten im Bunde versichert, „nehme ich meinen Vater mit.“ Denn, so bekundete er: Diese musikalische Darbietung würde auch einem Hippie-Haudegen wohl munden.
Beim zweiten Gig der mal drei, mal vier, mal fünf Musiker aus Alaska, diesmal ein Festival-Auftritt auf dem Hurricane, waren weder jener Jesus noch sein Vater mit an Bord, dafür aber eine Erwartungshaltung, die ich Portugal. The Man gegenüber fast zwei Jahre zuvor nicht gehegt hatte. Mittlerweile wusste ich, für welch eine großartige Bühnengruppe man sie halten konnte, obwohl oder gerade weil der Sänger stets nur seine eigene Schulter begutachtet statt das Publikum, obwohl oder gerade weil er meist kein Wort herausbekommt, das nicht gesungen ist, obwohl oder gerade weil die Herren so schräg schrullig sind, wie es eine echte Streberrockband eben sein muss. Jetzt mussten sie beweisen, dass mir meine Erinnerungen nicht dreist ins Gesicht logen. Die Band, obschon bestrahlt von kapitalistischer Coca-Cola-Werbung, für die sie nichts konnten und derentwegen ich sehr gerne sämtliche Technik im so genannten Soundwave-Tent auf ein (musikalisches) Minimum reduziert hätte (sprich: Schrotten des Beamers als Quelle absoluten Seelenheils nicht ausgeschlossen), war großartig. Aber an mir selbst merkte ich den Blick der Möchtegern-Kennerin auf Sound und Performance und den Blick der Möchtegern-Schlagzeugerin auf den Becken und den Toms. Das ist nicht schlechter, nur eben anders.
Nach dem euphorischen ersten und dem kritischen zweiten Gig folgte in der intensiven Liaison zwischen mir und Portugal. The Man, der Band mit den derzeit definitiv schönsten Vinyls, dem sympathischsten Bassisten und dem sphärischsten Progrock innerhalb meines Radars, das magengrimmenverursachende dritte Konzert in der Frankfurter Batschkapp. Denn während man beim ersten Mal noch bekloppt rumhüpfen und beim zweiten mal interessiert Kopfwackeln kann, droht bei Nummer drei zum ersten Mal Muskelstillstand – Langeweile könnte aufkommen. Richtig? Falsch!
Ja, doch, mich herum schienen sich mittelgroßes Interesse und eher ultrageringe Bewegungsfreudigkeit breitgemacht zu haben, aber nicht mit mir – das heißt, mit uns. Diesmal war das obligatorische Konzert-Trio nach langer Zeit wieder in trauter Dreisamkeit vereint: Der damals Fahrende, der sich auch wildfremden gnadenlos als Jesus vorstellte, mein großer Lieblingsbegleiter in allen Lebenslagen und natürlich moi-mème, diesmal mit grünlichem Haupt. Mit meinem unaufhaltsamen Vorwärtsdrang, den meine Mitmenschen nicht immer teilten, gab ich den Startplatz vor. Jesus gesellte sich zu mir (seinen Vater hatte er übrigens nur fast mitgebracht), der Große im gestreiften T-Shirt baute sich hinter uns auf, und bei den ersten Klängen von „People Say“, der Opener des neuen Albums „The Satanic Satanist“, begannen unsere Körper – jedenfalls die von Jesus und mir – rhythmisch zu zucken. Dass uns die Band, stilvoll und bis zur Unkenntlichkeit umnebelt und von meist blaurotem Dämmerlicht geheimnisvoll in Szene gesetzt, nicht enttäuschen konnte, war mir spätestens klar, als ich meinen verkratzten, erkälteten Hals („die Mandeln sind schon etwas zerklüftet!“, hatte meine Ärztin drei Tage zuvor verkündet) zum frenetischen Jubelschrei ausreizte. Dass mich das Publikum enttäuschen würde, ahnte ich da auch längst.
Dabei konnte man sich doch von der Batschkapp, regelmäßiger Austragungsort großartiger Konzerte und zwar kommerzialisierter, aber dennoch legendärer Hippie-Schuppen, ein bisschen mehr erwarten als seelenloses Glotzen und engagementfreies Fußwippen, vor allem, wenn man es mit diesen Bombenmusikern zu tun hatte, die jedem einigermaßen emotionsgeladenen Musikfreak den Blutkreislauf durcheinander geraten lassen. „Great Gig, but the audience was a bit lame“, sage ich mit sicherlich knallroten Wangen vor Kälte und heilloser Aufgeregtheit und umklammere meine soeben erworbene und autogrammierte Vinyl von „Censored Colors“, welche, wie ich wenig später auf der Heimfahrt in der S8 beseelt herausfinden sollte, golden ist, obwohl Jesus behauptet hatte, sie sei durchsichtig gelb! Was auch nicht schlechter gewesen wäre. „That happens“, sagt der Sänger und lächelt charmant unter seinem kleinen Schnurrbart, ich bin verliebt, wieder einmal, während unser Großer den Bassisten, der allein den winzigen Tourbus befüllt, mit Handschlag begrüßt. Der kennt ihn schon und grinst, „Hey, nice to see you! So this is your hometown?“ „No, we live in Mainz“, sagt er – zum Glück, Frankfurt stinkt. Wie immer übernimmt der Große die Wortführung, weil er betrunken und unbetrunken am in solchen Situationen besonders gnadenlos ist, während Jesus ein wenig abwesend tut und ich nur doof am Grinsen bin, und er bietet dem Schlagzeuger, der ihm beim Phonopop gezeigt hat, wie man einen Apfel raucht, einen Joint an, den Jesus, der Künstler des Joint-Bauens, im Stehen fabriziert. Hätte das Publikum nicht diesen überdimensionierten Stock im Hintern gehabt, ich hätte mich viel besser fallenlassen können in die Arme einer gleichgesinnten Menge, die schwitzt und mieft und genau das will, was wir wollen: Ekstase in den Gehörgängen!
Gleichsam hätte ich mich kaum so elitär fühlen können in einer Masse ohnehin schon elitärer Portugal. The Man – Fans, deren Synapsen wohl nicht fähig sind, die Informationen von der Bühne ungefiltert zu empfangen und ihnen die richtigen körperlichen und seelischen Informationen zuzuordnen, die da lauteten: Tanzen und Durchdrehen, Glückszittern und Quieken, Hochhüpfen und Laut Klatschen, Das Denken Einstellen. Nur am Ende, als die Band die Kamera auspackt und das Publikum knipst, wie sie es stets zu tun pflegt, gehen plötzlich alle Arme dieser Myspace-Selbstdarsteller in die Höhe, die den Moment nicht mal mehr auf Fotopapier, sondern nur noch auf ihrem Handydisplay wiedererkennen. Doch ich versuche, den jungen Mann nicht zu beachten, der mir mit warnendem Blick im Gesicht seinen Ellbogen in meinen Rücken stößt, wenn ich das mir vom metaphysischen Batschkapp-Ordnungsdienst zugeteilte Quadrat versehentlich beim Schwingen meiner Körpermasse übertrete und dabei den zierlichen Stangenbau anstupse, den er seine Freundin nennt, und meine Aufmerksamkeit einzig der Band zu schenken. Sie schaffen es, dass sich Songs der alten Alben nahtlos in den Sound von Satanic Satanist einfügen, als sei alles aus einem Guss, und trotzdem ihren Charakter behalten, durch den man sie wiedererkennt und gnadenlos mitquietschen kann. Ich komme mir nicht blöd vor, wenn ich lauthals schreie: „I’m but a man – but a proud, proud man“ und damit akustische und Geschlechtergrenzen zunichte mache.
Ich fühle mich eins mit den schwurbeligen Gitarren und dem Stampfbeat, und ich wünsche mir trotz Erkältungserscheinungen eine Endlosschleife. Um die Euphorie und Leidenschaft nicht zu verlieren, muss unsereiner bloß synaptisch fit bleiben und sich in den Sound werfen, so einfach ist das, denke ich mir, als ich in der S8 sinnierend meine goldene Platte streichle (die, wie Jesus am Morgen mit verkatertem Schädel feststellt, bei ihm tatsächlich gelb durchsichtig ist, da diese Band ihre LPs in unterschiedlichen Farben vertreibt – danke, euch, ihr Irren). Was ist ein Rockkonzert ohne Stampfen und Stupsen und schwitziges Aneinander reiben, ihr Besenstielverzehrer, ihr Kontaktverächter, ihr Schweinegrippepaniker? Es ist etwas, aber nicht: das. Und ein Text mit rotem Faden, der es schafft, das philosophisch-nostalgische Einstiegsgeplänkel durch geschickte Logikverknüpfungen resümierend wieder aufzugreifen, ist so uninspiriert wie ein Rockkonzert ohne Stampfen und Stupsen und schwitziges Aneinander reiben und darüber hinaus völlig überbewertet.
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