Immer kurz vorm Kollaps: Leipziger Buchmesse 2015

Die Messe ist nicht ganz vorbei, da sitze ich schon zu Hause vor meinem röchelnden Arbeitsgerät und versuche, Ordnung in das Chaos zu bringen, das auch nach nur zweieinhalb Tagen mit gONZo auf der Buchmesse in meinem Kopf herrscht.
Dabei muss ich mich, so viel sei im Vorfeld festgestellt, einer selbst auferlegten Zensur unterwerfen, denn was wirklich geschah, kann man halt einfach keinem erzählen. Auf die Wahrheit müsst ihr leider warten, bis meine Memoiren veröffentlicht werden, und das kann noch eine Weile dauern. So bear with me und lasst euch hier mit einer geschönten Version des hellen Wahnsinns abspeisen!

 

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Roadtrip with the Boss: Am Mittwoch holte Miss Gonzo ihre Autorinnen Simona Turini und moi-même in Mainz ab, stopfte sie in ihr wie üblich randvolles Auto und machte sich auf den Weg nach Leipzig. Dort würde sich bald zeigen, dass Madame Turini und ich nicht einfach nur Platz wegnahmen, sondern im Namen des besten Verlags der Welt unverzichtbare Dienste verrichten würden.

Zunächst aber stand die ganze Unternehmung unter dem Stern des Scheiterns: Unvorhersehbare Ereignisse verzögerten unsere Abfahrt, und die Frau am Steuer drohte jeden Moment krankheitsbedingt in Ohnmacht zu fallen. Außerdem waren ALLE Toiletten der angesteuerten Autobahnraststätte defekt, und so mussten wir kalte Ärsche in Kauf nehmen und in die Büsche pissen. Dann aber rauchten wir unsere Pausenzigaretten in diesem wunderschönen Sonnenuntergang, der uns wieder ein wenig mit der Welt versöhnte.

 

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Solchermaßen ermutigt tetristen wir uns wieder ins gONZo-Mobil, und der Boss stieg aufs Gas. Wenige knapp vermiedene Karambolagen später erreichten wir tatsächlich unser Ziel. Unsere Gemütslage oszillierte beständig zwischen fehlgeleiteter Zuversicht und bereichtigter Panik, doch schließlich waren die Bücher im Stand verstaut, den der Herr Köglowitz, seines Zeichens Chef des Unsichtbar-Verlags und unangefochtener Patriarch des Doppelstandes, dankenswerter Weise bereits errichtet hatte.

Nun galt es noch, den wichtigsten Task zu erledigen und Bier zu besorgen, bevor die Messetore geschlossen wurden. Das war sehr wichtig, denn wie sollten wir andere Menschen ohne Freibier auf unsere Seite ziehen (natürlich zwecks Weltherrschaft)? Auch hier hauchte uns die Verzweiflung ihren sauren Atem in den Nacken, denn Leipzig scheint die einzige Stadt Deutschlands zu sein, in dem nicht einmal der REWE bis 22 Uhr geöffnet hat.

 

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Panic on the streets of Leipzsch! Sogar der Saggsenboarg (dt. Sachsenpark, Einkaufszentrum), den uns der überaus freundliche Portier anzusteuern empfahl, hatte schon zu. Wir heizten durch die Straßen und wähnten uns bereits verloren.

Doch dank der technologischen Errungenschaften unseres Zeitalters und der besonnenen Reaktionsschnelligkeit aller Beteiligten bzw Beteiligtinnen meistereten wir am Ende aber auch diese Aufgabe. Am Ende hatten wir sogar noch Zeit zum Pipimachen, aber nicht viel, denn sowie wir die Halle 5 verrichteter Dinge wieder verließen, schloss man hinter uns das Tor. Ein Glück, dass wir alle so schnell pinkeln können, dachte ich nicht zum ersten Mal an diesem Tage.

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Draußen rauchten wir unsere Siegeskippen, tranken unseren Siegesschnaps aus Frau Turinis Flachmann und waren zu Recht verdammt stolz auf uns.

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Dann ging es weiter zur Mietwohnung, wo uns Herr Andreas Köglowitz in Empfang nahm und unsere Errungenschaften gebührend würdigte. Während es der ikeamäßig durchgestylten Wohnung an Bettdecken und Persönlichkeit mangelte, entschädigte das Vorhandensein einer Heizung und eines Sofas, auf dem Miss Gonzo sogleich völlig erschöpft zusammenbrach. Wir tranken, futterten die herrlichen, wenn auch etwas trocken geratenen Rumwaffeln, die der Chefin Mutter uns zur Wegzehrung mitgegeben hatte, lachten wie die Vollidioten und fielen bald ins Koma.

Der Donnerstag begann natürlich viel zu früh, und so konnte ich gleich alle Anwesenden mit meinem weltschmerzigen Morgen-Ich bekannt machen. Miss Gonzo und Herr K., die sich längst als Eltern unserer kleinen dysfunktionalen Familie etabliert hatten, trafen die letzten Vorbereitungen vor dem Messe-Gong, während ich sinnlos herumstand und beim Aufhängen des Unsichtbar-Banners gnadenlos versagte, womit mein neuer Status als schlecht gelaunter Nichtsnutz wohl endgültig zementiert war.

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Der Messe-Gong war leider zu einem enttäuschenden Gedudel verkommen, was dem Moment, in dem sich die unheiligen Hallen den hereinströmenden Massen öffneten, jedoch kaum seinen Zauber nahm. Wir gaben uns Mühe, mit dem plötzlichen Vorhandensein von Menschen klarzukommen, und warteten sehnsüchtig bis panisch auf die Ankunft der frisch gedruckten Fledermausländer. Einige von uns aßen Bananen. Andere verzichteten.

 

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Als die Bücher ankamen, war ich gerade auf Toilette. Diesmal schaffte ich es nicht, schnell genug zu pinkeln, und kam somit zu spät zur Party. Außerdem gelang es mir, mein persönliches Fledermausland-Exemplar innerhalb weniger Minuten mittelmäßig zu zerstören. Aber das machte alles nichts. Ich war glücklich.

 

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Während die Damen und Herren Verleger die ersten Gäste am Stand begrüßten…

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…lümmelten die Autoren auf Bierkästen, blätterten stolz durch ihre Anthologien und nahmen weiter Platz weg.

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Zum Glück konnte ich zwischenzeitlich doch noch den Nutzen meiner Anwesenheit unter Beweis stellen, in dem ich Kaffeebecher mit aufmunternden Sprüchen beklebte:

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Irgendwann begab sich Frau Turini zu ihrem anderen Verlag und ich mich auf eine kleine Reise über das Messegelände, die mich an gar wundersamen und zum Teil auch erschreckenden Szenarien teilhaben ließ.

Unter anderem wohnte ich diesem enthusiastischen Zwiegespräch einer rüstigen Rentnerin mit einem Schwarzmagier in voller Dienstmontur bei. Ob er ein Kaninchen unter seinem Zylinder versteckt hatte, ist leider nicht abschließend geklärt. Aber ich sag euch, Kinder: So was gibt’s nur auf der Buchmesse.

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Der Trip durch Halle 5 erinnerte mich ein bisschen an das ziellose Wandeln durch marokkanische Gässchen, die einen verschlingen und dann irgendwo ausspucken, wo man niemals hinwollte. Nur Ich schwamm mit dem Strom und strandete ganz ohne mein Zutun mitten im „Karrieretag Buch + Medien“, wo Menschen auf Podien ganz unschöne Worte in den Mund nahmen, die mir den Spaß an Büchern garantiert auf allezeit verdorben hätten, wäre ich nicht umgehend geflüchtet.

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Ich suchte mein Heil in den Armen einer sündteuren Bockwurst. Ja, ich weiß, dass eine Bockwurst keine Arme hat! Ruhe da hinten! Jedenfalls bereute ich es sogleich. Memo an mich: Messe-Bockwurst lohnt sich nicht.

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Waghalsig, wie ich nun einmal bin, verließ ich Halle 5 und taumelte durch die immer wieder beeindruckenden Schleusen hinein in den Messewahnsinn.

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Ebenso wie die beknackte Bockwurst hinterließ auch dieser Ausflug zum Teil einen schalen Beigeschmack. Am Stand der Bundesregierung wurde allen Besuchern der unsägliche Wolf-Biermann-Auftritt aufgedrängt…

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…und daneben gemahnte der Stand der Arbeitsagentur daran, was junge Menschen so erwartet, wenn sie Geisteswissenschaften studieren und sich mit Kleinverlagen einlassen.

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Außerdem musste ich wieder einmal mit Entsetzen feststellen, wie viele verdammt hässliche und verdammt überflüssige Bücher so gedruckt werden, wenn der Tag lang ist und offenbar niemand richtig aufpasst. Bilder davon erspare ich euch großzügig – da müsst ihr halt ausnahmsweise mal eure Fantasie bemühen.

Entsprechend geschlaucht kehrte ich zum Stand zurück, der sich nach all dem großflächigen Grauen umso mehr nach zu Hause anfühlte. Eine Wohltat war dann das gemütliche Verweilen nach dem „Gong“ (Gedudel). Die feierabendliche Ruhe dauerte zwar nur so lange an, bis uns überaus unfreundliche Ordner des Hauses verwiesen, aber immerhin lange genug, um mich davon zu überzeugen, dass es doch noch gute Dinge auf der Welt gibt.

 

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Dass ich nach diesem Tag meine Rolle als Dorftrottel der Truppe ein für allemal weghatte und mich von den Damen und Herren Verlegern nach Strich und Faden veräppeln lassen musste, fand ich auf perfide Art und Weise beruhigend, denn immerhin hatte ich jetzt eine Aufgabe, und ich nahm sie gerne an.

Nachdem sich älteren Semester zur Bettruhe verabschiedet hatten, war ich grünschnäbelige Möchtegern-Autorin allein mit meiner allerersten echten Veröffentlichung und probierte aus, was man alles damit machen kann. Lesen ging besonders gut.

 

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Das Buch machte mir zwar auch ein bisschen Angst, aber wir hatten uns trotzdem ziemlich gern, und so nahm ich es schließlich mit ins Bett.

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Irgendwann in aller Herrgottsfrühe trudelte mit Stefan Gaffory ein weiterer gONZo-Autor in der Wohnung und machte uns alle wach, nur um selbst augenblicklich in einen unerschütterlichen Schlaf zu fallen. Man verzieh ihm schlussendlich, wenn auch zögerlich.

Am Freitag erwachten wir in einer Wohnung ohne Persönlicheit und ohne Kaffee, weshalb ich meine Morgenzigarette mit Orangensaft konsumieren musste, was mein Morgen-Ich nur mäßig zufriedenstellte.

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Der idyllische Blick vom Balkon auf die umgebenden Nachbarhäuser, deren Bewohner uns alle sicherlich schon von der Morgentoilette am vorhangslosen Badezimmerfenster kannten, stimmte mich zwar etwas milder…

 

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…aber Ästhetik ersetzt bekanntlich den Kaffee nicht. Daher machten Herr Gaffory und ich uns bald auf eine Odyssee durch ein eiskaltes Leipzig, das uns mit seiner Mischung aus DDR-Prachtbauten, grafittiertem Industriecharme und futuristischer Düsternis zu betören wusste. Vor allem das Design der U-Bahnhöfe, offenbar direkt aus Metropolis geklaut, beeindruckte nachhaltig.

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Auf der Messe kamen wir in die Verlegenheit, den Haupteingang zu benutzen, doch das war insgesamt gar nicht so schlimm wie zunächst befürchtet.

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Am Stand verfielen alle (pictured: Gaffory, Bernemann & Spies) sogleich in wichtige Geschäftsgespräche. Mama und Papa hatten aufgehört, mich zu ärgern, und waren plötzlich sehr nett zu mir, was mich zunächst ein wenig beunruhigte, aber schlussendlich doch ganz nett war.

 

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Ich trank vor lauter Freude literweise Kaffee und fotografierte mal wieder meinen Kaffeebecher, weil ich sonst ganz offensichtlich nichts Wichtigeres zu tun hatte.

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Aus reiner Langeweile mischte ich mich auf der gegenüberliegenden Leseinsel „Junge Verlage“, die ich Banause bisher hauptsächlich als weißes Rauschen und gelegentlichen Stichwortgeber für grenzdebile Gespräche wahrgenommen hatte, unter die Zuhörer. Hier lauschte ich einem netten Text übers Tanzen mit fremden Menschen, der mich kurzzeitig berührte, aber dann wieder verlor, als der Autor dazu überging, mit lustig verstellter Stimme skurrile Alltagsbeobachtungen wiederzugeben und damit irgendwie genau dasselbe machte wie alle anderen auch.

Ich ging zum Rauchen vor die Tür und wurde immer nervöser, da der Verlagsabend zusehends näher rückte. Das bedeutete, dass ich dann vermutlich selbst lesen und mich von anderen bewerten lassen musste, die wahrscheinlich mindestens ebenso selbstgerecht über mich urteilen würden wie ich über diesen armen Menschen auf der Leseinsel, der ja auch nur seinen Job machte, und überhaupt. Ich schlug das Buch auf, klappte es wieder zu und verzweifelte ein bisschen vor mich hin.

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Dann wurde es tatsächlich ernst, wie man auf diesem Beweisbild unschwer erkennen kann. Prophetisch nahm die John-Sinclair-Werbung in unserem Rücken den Verlauf des folgenden Abends vorweg.

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Auf dem Weg ins Schlechte Versteck verliefen wir uns nur beinahe, und das ist eigentlich schon ziemlich gut für ein paar planlose Chaoten! Turbulent ging es auch am Veranstaltungsort zu, der nur zwei Wochen vor unserer Ankunft von einem Säureanschlag heimgesucht worden war (wahrscheinlich hatten sich die Anschläger im Termin geirrt).

Auch sonst rannten wir ein wenig kopflos umher und waren wie immer hin und wieder kurz davor, die komplette Unternehmung zum Kentern zu bringen. Aber ohne gonzo kein gONZo, pflegte schon meine Urgroßmutter zu sagen. Und schlussendlich hatten wir dann doch so etwas wie eine Bühne und brachten so etwas wie eine Lesung zustande, und mehr konnte man ja nun wirklich nicht von uns verlangen.

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Pictured: Frau Turini in Aktion. Davor die Flasche Vodka, die mir im Laufe des Abends zum Verhängnis werden sollte und eine weiterführende Dokumentation der Ereignisse vollkommen undenkbar machte. Mein Text war wie erwartet viel zu lang, mein Vortrag zu schnell und insgesamt eher holprig, was natürlich einzig und allein den Lichtverhältnissen zuzuschreiben ist. Aber dafür war der Alkohol umsonst und ich den Rest des Abends über eine Granate aus Charme und Eloquenz, zumindest so weit ich mich erinnern kann.

Es wimmelte nur so von Autoren und Verlegern, die Gespräche über Autoren und Verleger führten. Außerdem waren sehr viele große, glatzköpfige Männer anwesend, etwa Jan Off, der extra für uns durch einen dunklen Wald gestiefelt war und den ich an diesem Abend eventuell möglicherweise endlich dazu bringen konnte, sich zu merken, wer ich bin. Das nennt man dann socializing. Man sieht: Ich habe das Prinzip Messe nachhaltig verinnerlicht und kann voller Stolz sagen, dass in jedem Fall irgendetwas passiert ist. So.

Trotzdem stellten sich meinem unverschämt schmerzenden Hirn am Morgen meiner Abfahrt noch jede Menge Fragen, zum Beispiel danach, wer wohl die letzten beiden Rumwaffelstücke essen würde. Diese Frage blieb bisher leider unbeantwortet.

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THE END.

(Ich mag offene Enden.)

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