Krieg im Paradies: TOP OF THE LAKE (2013, Jane Campion)

top of the lake GJ LandschaftIm Paradies.

Natürlich hat der Winter auch sein Gutes. Statt Winterschlaf frönt der postmoderne Mensch, eingeigelt in seiner komfortablen Menschenhöhle, der jüngst wissenschaftlich zertifizierten Seriensucht. Auch ich gehöre zu den Willensschwachen und bringe nur selten genug Selbstdisziplin auf, um Netflix davon abzuhalten, die nächste Folge zu spielen. Mit Blick auf ein mögliches Masterarbeitsthema führte ich mir einige neue Serien zu Gemüte, die sich um weibliche Protagonisten drehen und die den inneren Konflikt der weiblichen Figur in einer männlich dominierten Welt direkt oder indirekt thematisieren, darunter Orphan Black, Agent Carter oder Parks & Recreation – allesamt Werke, für die sich das Verschwenden potenziell konstruktiver Lebenszeit vollkommen lohnt und die ich dem geneigten Leser am liebsten alle auf einmal wärmstens ans Herz legen möchte.

Beginnen will ich mit Jane Campions TOP OF THE LAKE, das mich vielleicht am Nachhaltigsten beeindruckt hat, weil darin so vieles wie für mich geschnitzt scheint – allem voran die Landschaft und ihre narrativen Qualitäten sowie Figuren, die immer mehr sind als das, was sie selbst zu sein glauben.

tui seeIm See.

Nicht nur atmosphärisch erinnerte mich die Serie an einen meiner Lieblingsromane, das magisch-realistische Islandmärchen Am Gletscher von Halldór Laxness. Auch hier kommt ein Außenstehender in ein von Wildnis umgebenes Kaff und versucht, die Wahrheit herauszufinden über etwas, das sich in seiner Gänze unmöglich ergründen lässt. Was bei Laxness der Gletscher ist, ist in Campions als Miniserie angelegtem Sechsteiler (oder Siebenteiler, je nach Fassung) der See in der schroffen Ödnis Neuseelands, in dem sich die schwangere Zwölfjährige Tui zu Beginn zu ertränken sucht. Er ist kein Quell des Übernatürlichen, sondern im Gegenteil einer tief in der Natur und in der Natur des Menschen verwurzelten Mystik, die in der Serie ständig spürbar ist, ohne sich offen erkenntlich zu machen. Um diesen See und dieses unglaublich zähe kleine Mädchen spinnt sich eine Geschichte von Suche und Flucht, Macht und Gegenwehr, die die Protagonistin Robin (Elizabeth Moss), wie eingangs prophezeit, in die Knie zwingt.

top of the Lake Robin NebelIm Nebel.

Robin steht in der langen Tradition fiktionaler Ermittler, die sich obsessiv in einen Kriminalfall hineinsteigern, bis von ihnen selbst so gut wie nichts mehr übrig ist. Die klassische „Wall of clues“, auf der sich die Obsession der Kriminalisten in Form von Zeitungsausschnitten und Verbindungslinien gemeinhin visualisiert, kommt jedoch in diesem Fall kaum über ein Foto der verschwundenen Tui hinaus und schrumpft sogar, je tiefer sie sich in den Fall verstrickt.

top of the lake obsession wall 2

An Moss‘ Rolle lässt sich festmachen, wie die Serie den Konventionen des Crime/Mystery-Genres kontinuierlich Steine in den Weg legt. Ihr verzweifeltes Streben nach Erkenntnis wird von einem immer dichter werdenden Nebel erschwert, und sogar die guten Geister der Geschichte tragen nicht viel dazu bei, dass sich der Nebel lichtet. Als Frau, die sich auf Gewalt an Kindern spezialisiert hat, wird sie in der männerdominierten Provinzpolizei nicht ernst genommen, und als Außenstehende dringt sie wie ein Fremdkörper störend in das geschlossene System ein, das sich in der archaischen Frontier-Gemeinschaft rund um den See gebildet hat.

Mit Bravour verkörpert Elizabeth Moss eine Figur, die an diesen schier unüberwindlichen Grenzen zu verzweifeln droht und sich trotzdem immer wieder dem Kampf stellt, auch wenn sie dabei viele Kratzer und blaue Flecken einstecken muss. Es ist erfrischend, dass sie als weibliche Ermittlerfigur sich dem Zuschauer nicht durch Kompetenz und Stärke beweisen muss (ein Ansatz, den beispielsweise Agent Carter in seiner besten Form zur Perfektion bringt), sondern in ihrem rohen, verletzlichen Menschsein belassen wird, die viel Raum für erzählerische Nuancen bietet.

 

top of the lake robin nah

Das metaphyische Machtgeflecht, das Campion und Co-Autor Gerard Lee um den roten Strang dieser düsteren Kriminalgeschichte strickten, faszinierte mich persönlich jedoch noch weit mehr als der Hauptplot selbst. Anhand zweier wunderbar exzentrischer Figuren, die wie für mich geschaffen scheinen, wird die Dichotomie der Geschlechter selbst zum Erzählgegenstand. Das patriarchale Prinzip verkörpert Matt Mitcham (großartig und nuanciert: Peter Mullan), Tuis Vater, Alpha-Mann der Kleinstadt und Hauptverdächtiger in Robins Ermittlungen, der nicht nur seine „Familie“ von Kleinkriminellen und Ausweglosen, sondern auch die Polizei nach seinem Befehl handeln lässt. Wie die unzähligen Hunde, die er auf seinem Anwesen mitten in der Wildnis hält, behandelt er auch die Menschen um sich herum – fähig zu obsessiver Zuneigung ebenso wie zu fatalen, unberechenbaren Gewalteruptionen.

Während Matt sich durch Angst Loyalitäten sichert, verheißt sein weiblicher Konterpart den ausgestoßenen Zivilisationsflüchtlingen eine Chance auf Heilung. Holly Hunter brilliert in grauer Perrücke als kühler New-Age-Guru GJ, die selbst weder auf Loyalitäten aus ist noch Hilfe verspricht, sondern im Grunde einfach nur da ist. Die beiden Charaktere sind einander diametral gegenübergesetzt und spiegeln einander gleichzeitig nicht nur im Äußeren.

Top of the Lake GJ dog Top of the Lake Matt hundZwei Welten. Ein Hund.

Matts ständiges manisches Streben ist angereichert mit Amphetamin und viel mehr erbarmungswürdiger Menschlichkeit, als man sie einer solchen bisweilen verabscheuungswürdigen Figur zugestehen will; GJ dagegen wirkt stets vollkommen indifferent, lässt weder den Zuschauer noch die übrigen Charaktere an sich heran und bleibt ein Mysterium, eine spröde Schimäre, die eigentlich nichts will, aber am Ende doch nicht weniger alles. Ihr Konflikt ist der Kampf von Matriarchat und Patriarchat um das Paradies – so heißt nicht nur das Landstück, das zwischen den Parteien einen bitteren Zwist entfacht. Die wenigen gemeinsamen Szenen der beiden fühlen sich an wie das Aufeinandertreffen zweier Naturgewalten.

top of the lake GJ Matt

Die Natur, um die sie streiten, lässt sich dabei weder dem weiblichen noch dem männlichen Prinzip unterordnen. Den Menschen bedeutet sie Bedrohung ebenso wie Schutz, Hoffnungsschimmer ebenso wie Verdammnis, und sie ist trotzdem mehr als nur der Austragungsort menschlicher Tragödien. TOP OF THE LAKE zeigt die neuseeländische Landschaft in erstickend schönen, tristen Bildern, gespickt mit einsamen Gitarrenklängen und kraftvoller Melancholie – ein Sehnsuchtsort, der nicht daran denkt, irgendwelche Sehnsüchte zu erfüllen. Wie Laxness‘ Gletscher oder die Canyons des Wilden Westens bleibt auch die Wildnis rund um den See den humanen Querelen gegenüber so gleichgültig, wie es sich für eine Wildnis nun einmal gehört.

top of the lake landschaft

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4 Kommentare zu „Krieg im Paradies: TOP OF THE LAKE (2013, Jane Campion)

  1. Ich fand die serie ganz ok. Klar, die Bilder sind unglaublich toll, super gespielt und beim Intro bekam ich jedes Mal Gänsehaut. Aber: Die Geschichte war mir doch ein bisschen zu einseitig und konnte mich nicht so wirklich mitreißen. Die bösen thumben Männer und die guten Frauen, die nach dem Sinn des Lebens suchen. (Spoiler) Und die Geburt durch das junge Mädchen ließ mich Bauklötze staunen – das sah doch zu geschmeidig aus. Oder was meinst du?

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    1. Heyhey, danke für’s Lesen und Kommentieren! 🙂
      (possible Spoilers) Zum Thema „böse Männer/gute Frauen“: wichtiger Kritikpunkt. Ich mag es gerade an der Serie, dass sie einen zwingt, sich damit auseinanderzusetzen. Grundsätzlich finde ich es super, dass TOTL so eine klar feministische Position einnimmt und dabei nicht unbedingt auf Realismus setzt, sondern auf starke, vielleicht zu offensichtliche Allegorien, die aber sehr kraftvoll ausgeführt sind, wie ich finde. Da sie sich mit dem Thema der männlichen Gewalt beschäftigt und dies so klar ins Zentrum stellt, gibt es natürlich auch viele Männer, die „böse“ handeln (aber nicht unbedinbt böse sind). Es werden aber ebenso Männer als Opfer von nicht nur von männlicher Gewalt dargestellt. Der männliche Charakter, der die meiste Gewalt auf andere ausübt – Matt – wird ja eben dadurch charakterisiert, dass er durch die Gewalt seiner Mutter zu dem geworden ist, was er jetzt ist. Er wiederum gibt diese elterliche Gewalt an seine Familie (nicht nur Blutsverwandte) weiter. Seine Kinder, männlich wie weiblich, leiden alle darunter, und wenn man jemanden wie Matt gewähren lässt, wird das Leid in die nächste und übernächste Generation weitergetragen. Schuld hat daran aber nicht Matt – die Gewalt ist älter als der einzelne Mensch. Ich denke, hier werden eher Strukturen beschrieben, in denen Gewalt, und dezidiert männliche Gewalt, ein Freiraum eingeräumt wird, und eben diese Strukturen müssen durchbrochen werden, damit die späteren Generationen gewaltfreier leben können.
      Außerdem hab ich den Eindruck, dass sich nicht nur die Frauen auf Sinnsuche befinden. Bspw für die beiden Söhne von Matt ist das Ganze ja auch eine ziellose Sinnsuche bis zu dem Punkt, an dem sie sich gegen ihren Vater stellen und so maßgeblich den „guten“ Ausgang des Plots mit herbeiführen. Ihre Sinnsuche sieht halt nur anders aus als die der Frauen. Und ob ich zb GJ jetzt als „gut“ bezeichnen würde, weiß ich auch nicht. Eigentlich ist sie schon ziemlich unausstehlich 😀
      Über die Geburt hab ich mir ehrlich gesagt noch gar nicht so viele Gedanken gemacht. Vielleicht ging es dabei drum, die Erwartungen zu brechen. Aber diese einsame Geburt in der Wildnis ist ja sowieso total mit Symbolismus aufgeladen, auch da ist glaub ich nicht unbedingt Realismus das Ziel. Hach. Sometimes I do love me some heavy handed symbolism. 🙂

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      1. Puh – das ist mal ne Antwort! 😉 Also: Die symbolisch aufgeladene Geburt sollte als solche auch erkannt werden (können). Nur weil es schlecht gemacht ist, muss es nicht zwangsläufig eine Symbol sein, um das zu kaschieren. Zumindest für mich war das nicht so offensichtlich.
        Ob GJ eine „gute“ Frau ist (Holly Hunter mal wieder großartig): Sie sagt ihren Jüngerinnen klipp und klar die Wahrheit ins Gesicht und ja manchmal ist sie auch sehr garstig. Das ist zwar nicht unbedingt nett, aber doch wenigstens ehrlich. 😉
        Deine These von der männlichen Gewalt kann nachvollziehen. Jane Champion, die Spezialistin für feministische Stoffe (Das Piano) in der Kinolandschaft, schafft es aber nicht, das von dir angesprochene Weitergeben/Vererben der Gewalt von einer Generation zur nächsten zu veranschaulichen. Nur eine kleine Andeutung reicht mir ehrlich gesagt nicht. Unglaublich makaber war die Szene von Matt und seiner Gespielin am Grab seiner Mutter. Ich fand das unfreiwillig komisch. Insgesamt ergab sich für mich ein recht unrundes Bild.
        Übrigens: Kennst du Masters of Sex? Falls du dich gerne mit emanzipierten Frauen beschäftigst, ist das ne gute Serie.

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      2. Hoppla, hatte total übersehen, dass du geantwortet hast! Peinlich…
        Wie gesagt, über die Geburt bin ich mir nicht so sicher. Man könnte natürlich auch argumentieren, dass manche Geburten halt tatsächlich einfach sehr schnell vonstatten gehen. (Kenne mich da aber auch nicht so aus 😉 ) Mir ist es jedenfalls nicht störend aufgefallen, aber das muss nichts heißen…
        Ja, die GJ-Szene ist einfach nur toll. Aber sie ist halt auch darüber hinaus als Figur so komplett nebulös, dass man ihre Motivation und ihr Innenleben überhaupt nicht greifen kann und es deshalb nie ganz klar ist, ob man sie wirklich sympathisch finden kann oder nicht. Aber natürlich hast du recht, sie steht tendenziell auf der „guten“ Seite, in ähnlichem Maße wie Matt auf der „bösen“. (Spiegelfiguren! 🙂 )
        Ich denke allerdings schon, dass das Thema der „Vererbung“ von (nicht nur männlicher) Gewalt sehr deutlich und in verschiedenen Facetten behandelt wird, ebenso auch das „Vererben“ der Opferrolle auf weiblicher Seite und der Kampf gegen und die schlussendliche Durchbrechung dieser Erblinien, etwa anhand der Figur von Johnno oder auch Robin selbst, die täglich damit zu kämpfen hat, dass sie einmal in eine Opferrolle geraten ist. Außerdem muss auch sie sich mit dem Verhalten ihrer Mutter auseinandersetzen, die ja von ihrem Lebensgefährten auch Gewalt erfahren hat. Die Beziehung zwischen diesen beiden, die zwar nur zu Beginn eine Rolle spielt, finde ich in dem Zusammenhang auch interessant, da er schlussendlich trotzdem liebevoll an ihrer Seite steht, also auch hier alles gar nicht mal so eindeutig ist, wie es vielleicht erstmal scheint.
        Zur Szene am Grab: Ja, das war unglaublich bescheuert, kein Protest von meiner Seite 😀 Ich musste auch lachen und ungläubig den Kopf schütteln. Aber gleichzeitig war mir spätestens in dem Moment auch absolut klar, dass Matt mein Lieblingscharakter ist und mich nichts mehr vom Gegenteil überzeugen kann! So ein Hauch von debil grinsendem Wahnsinn steht der Serie ziemlich gut, find ich.
        Masters Of Sex ist toll, habe ein paar Folgen gesehen und dann leider irgendwann aufgehört, wie es manchmal so ist. Aber das werde ich mir auf jeden Fall noch zu Gemüte führen, steht ganz oben auf der Liste!

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